Die Auffassung, soziale Ungleichheiten seien primär durch individuelle Leistung begründet und sozialer Aufstieg folglich durch eigene Anstrengung möglich, zählt zu den wichtigsten Legitimationsressourcen moderner Gesellschaften. Dieses Projekt beschäftigt sich damit, wie derartige Vorstellungen in breiteren sozialen Gruppen Fuß fassen konnten und welche Folgen die Orientierung an individuellem Aufstieg nach sich zog. Im Fokus stehen dabei die Unterschicht und die untere Mittelschicht. Es soll untersucht werden, unter welchen Umständen sich in diesen sozialen Gruppen die Erwartung ausbreitete, man selbst oder die eigenen Kindern könnten durch eigene Anstrengung sozial aufsteigen. Das Projekt soll zeigen, mit welchen Vorstellungen von Aufstieg und Leistung diese Erwartungen jeweils verbunden waren und in welchen konkreten Praktiken des Aufstiegs sie sich niederschlugen. Ein praxistheoretischer Ansatz ermöglicht es dabei, Alltagspraktiken, habitualisierte Einstellungen sowie institutionelle und materielle Voraussetzungen herauszuarbeiten, die eine Ausbreitung von Aufstiegsorientierungen beförderten oder hemmten. Der Untersuchungszeitraum beginnt in der Mitte des 19. Jahrhunderts, um die Auswirkungen der Industrialisierung in den Blick zu bekommen, und endet in den 1970er Jahren, als sich im Zuge der Bildungsexpansion und des wirtschaftlichen Strukturwandels vermutlich das Erwartungsmuster „Aufstieg durch Bildung“ allgemein etablierte. Als Quellenbasis dienen autobiographische Schriften und Transkripte von Oral-History-Interviews aus vier Geburtskohorten. Geographisch konzentriert sich das Projekt auf den deutschsprachigen Raum. Das Forschungsvorhaben zielt zum einen darauf ab, aktuelle gesellschaftspolitische und sozialwissenschaftliche Diskussionen über die Leistungsgesellschaft durch einen historischen Blick auf die Entstehung, die Ausbreitung und die lebensweltlichen Auswirkungen der Orientierung an individuellem sozialen Aufstieg zu bereichern. Dieser Ansatz kann zur Differenzierung der Debatte beitragen, indem er die Kontingenz von Vorstellungen des Aufstiegs und den Wandel der damit verbundenen individuellen und kollektiven Strategien deutlich macht. Der Blick ‚von unten‘ ermöglicht zudem Antworten auf die bisher zu selten gestellte Frage nach der Attraktivität und Überzeugungskraft von Gesellschaftsvorstellungen, die soziale Ungleichheiten auf individuelle Anstrengungen und Fähigkeiten zurückführen.
«Die Auffassung, soziale Ungleichheiten seien primär durch individuelle Leistung begründet und sozialer Aufstieg folglich durch eigene Anstrengung möglich, zählt zu den wichtigsten Legitimationsressourcen moderner Gesellschaften. Dieses Projekt beschäftigt sich damit, wie derartige Vorstellungen in breiteren sozialen Gruppen Fuß fassen konnten und welche Folgen die Orientierung an individuellem Aufstieg nach sich zog. Im Fokus stehen dabei die Unterschicht und die untere Mittelschicht. Es soll un...
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