Kurzfassung:
Eine Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Lötprozess ist eine gute Benetzung der Oberflächen der Fügepartner mit dem Lot. Allerdings ist die Güte der Benetzung im Allgemeinen nicht analytisch vorausberechenbar, da beim Benetzungsvorgang eine Vielzahl physikalisch-chemischer Vorgänge eine Rolle spielt. Insbesondere die Erfahrungen aus der löttechnischen Praxis zeigen, dass sich das Benetzungsverhalten schon dann extrem ändern kann, wenn die chemischen Zusammensetzungen der Lote oder der Fügepartner leicht variiert werden. Wird der Benetzungsvorgang auf atomarer Ebene betrachtet, reduziert sich die Vielzahl physikalisch-chemischer Vorgänge auf die Wechselwirkung einzelner Atome. Daher bietet es sich an, Benetzungsprozesse auf atomarer Ebene zu untersuchen, um Erkenntnisse über den Benetzungsvorgang auf makroskopischer Ebene gewinnen zu können. Eine Methode, mit der diese Untersuchungen numerisch erfolgen können, ist die Molekulardynamik (MD). MD ist ein Simulationsverfahren, welches auf dem numerischen Lösen der Bewegungsgleichungen eines N-Teilchensystems beruht, wobei die Teilchen Atome, Moleküle und/oder Ionen sind. Im Rahmen dieser Arbeit wird, soweit es aus der Literatur bekannt ist, erstmalig geprüft, ob sich MD als Simulationsmethode für die quantitative Vorausberechnung des Benetzungsverhaltens beim Löten eignet. Zu diesem Zweck werden Benetzungsvorgänge für verschiedene Lot-Grundwerkstoff-Systeme auf atomarer Ebene simuliert und die jeweiligen Benetzungskinetiken, die sich aus den Simulationsergebnissen ergeben, aus verschiedenen Gesichtspunkten heraus bewertet. Unter anderem wird die zeitliche Entwicklung verschiedener mikroskopischer Benetzungswinkel analysiert. Darüber hinaus werden die Simulationsergebnisse auch mit den Ergebnissen makroskopischer Benetzungsproben verglichen. Exemplarisch wird das Benetzen von Eisen mit Silber, von Eisen mit Kupfer und von Eisen mit dem Eutektikum Ag72Cu28 berechnet. Diese Systeme werden deshalb ausgewählt, weil Kupfer besser als Silber Eisen benetzt und sich das Benetzungsverhalten merklich verbessert, sobald dem Silber Kupfer beigemengt wird. Zudem wird mit dem Lot-Grundwerkstoff-System Ag72Cu28-Eisen ein ternäres Werkstoffsystem betrachtet, bei dem ein reaktives Benetzen stattfindet. Somit stellt dieses System für eine numerische Simulation eine zusätzliche Herausforderung dar. Als Potentiale für die atomare Wechselwirkung werden die EAM-Potentiale von Johnson gewählt (engl.: Embedded-Atom Method, EAM). Mit diesen EAM-Potentialen werden die Eigenschaften der schmelzflüssigen Phasen von Silber und Kupfer, insbesondere die Oberflächenspannungen, wiedergegeben. Wie sich zeigt, stimmen berechnete, theoretische sowie experimentelle Ergebnisse für die in dieser Arbeit betrachteten Werkstoffsysteme überein. Somit ergibt sich als Hauptergebnis der hier vorliegenden Arbeit, dass mit MD eine Berechnungsmethode zur Verfügung steht, die für eine quantitative Vorausberechnung des Benetzungsverhaltens beim Löten geeignet ist. Da Benetzungsvorgänge für alle Systeme simuliert werden können, bei denen geeignete Wechselwirkungspotentiale für die einzelnen Atome bzw. Legierungspartner bekannt sind, ist die in dieser Arbeit vorgestellte Vorgehensweise prinzipiell für beliebige Lotsysteme anwendbar.