Abstract:
Hintergrund: In Deutschland lebten 2014 etwa 1,5 Millionen Menschen mit einer demenziellen Veränderung. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung wird bis zum Jahr 2050 mit rund drei Millionen Betroffenen gerechnet. Nach Meinung von Experten ist eine Heilung von Demenz bislang weder möglich noch absehbar. Die mit der Krankheit einhergehenden neuropsychiatrischen Symptome, die als herausforderndes Verhalten bezeichnet werden, werden überwiegend medikamentös behandelt. Aufgrund zahlreicher bekannter Nebenwirkungen und einer weit verbreiteten Multimorbidität älterer und demenziell veränderter Menschen sind die Auswirkungen der pharmakologischen Behandlung jedoch schwer abschätz- und kontrollierbar. Noch immer wird über alternative Therapien und Interventionen zu wenig geforscht.
Ziele: Die vorliegende Studie untersuchte, inwieweit die Lebensqualität demenziell veränderter Menschen durch eine Humorintervention gesteigert und Selbstaktualisierungsprozesse angestoßen werden könnten. Damit sollte eine alternative, möglichst nebenwirkungsfreie Maßnahme gefördert werden. Bislang konnten nur unzureichend nachhaltige Ergebnisse erzielt werden und die Auswirkungen der eingesetzten stilistischen Mittel in der humorvollen Interaktion auf die erzielten Ergebnisse sind unzureichend erforscht. Insbesondere Inhalt und Verlauf der Interventionstermine sind regelmäßig nicht dokumentiert. Über die Fremdeinschätzung herausfordernder Verhaltensweisen und Lebensqualität hinaus sollte die humorvolle Interaktion daher in einer Verhaltensbeobachtung analysiert werden. Neben der Erfassung und Kategorisierung von Beiträgen, Rezeption und Beteiligung der Teilnehmenden sollte ferner geprüft werden, inwiefern in der Interaktion das Erleben von Humorkompetenzen möglich ist. Durch gezielte Ansprache oder das humorvolle Aufgreifen bedeutsamer Themen sollten darüber hinaus Verarbeitungsmechanismen angestoßen und eventuell das Erleben weiterer Kompetenzen ausgelöst werden.
Methoden: In einem quasi-experimentellen Untersuchungsdesign wurden die Teilnehmenden der Interventionsgruppe von zwei professionellen Klink-Clowninnen über vier Wochen jeweils 2x wöchentlich bespielt. Für die Interventionsgruppe und eine Wartekontrollgruppe wurden von Bezugspflegekräften über Fremdbeurteilungsfragebögen herausforderndes Verhalten (NPI-NH) und Lebensqualität (QUALIDEM) vor Beginn der Intervention (Base), am Ende des Interventionszeitraums (Post) und vier Monate nach Ende der Bespielzeit (Follow-up) erhoben und statistisch ausgewertet. Die Interventionstermine wurden auf Video aufgezeichnet und anhand eines eigens entwickelten Kategoriensystems annotiert. Für die Interpretation und zur Ergänzung der Ergebnisse aus Fragebögen und Verhaltensbeobachtung wurden zusätzlich ausgewählte Beispielszenen herangezogen. Ergebnisse: Zum Zeitpunkt Post hatten sich die neuropsychiatrischen Symptome in der Interventionsgruppe mit einem mittleren Effekt annähernd signifikant verbessert. Beim Follow-up war die Verbesserung nicht mehr signifikant, es bestand jedoch noch ein schwacher Effekt. Bezüglich der Lebensqualität ergab sich zum Zeitpunkt Post eine signifikante Verbesserung mit annähernd mittleren Effekten für die Subskalen sich zuhause fühlen, soziale Isolation und negativer Affekt. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung (Follow-up) traf dies auf sich zuhause fühlen, negativer Affekt, positives Selbstbild, Pflegebeziehung und ruheloses Verhalten zu. Ein sehr großer Effekt ergab sich auf der Subskala sich zuhause fühlen für leicht und mittelschwer demenziell veränderte Teilnehmerinnen. Sie fühlten sich im Interventionszeitraum offensichtlich zunehmend wohl und akzeptiert, was auch durch die annotierten Antwortverhalten, Humorbeiträge sowie die Äußerung von Lob und Dank zum Ausdruck kam. Für die Verhaltensbeobachtung lagen neun Stunden Videomaterial vor. Da 86% der Intervention im Aufenthaltsraum stattfand, konnte ein großer Teil der Teilnehmenden atmosphärisch teilhaben, selbst wenn sie nicht direkt bespielt wurden. Von 633 erfassten Humorbeiträgen stammten 175 (28%) von den Bewohnerinnen und Bewohnern. Verbaler Humor wurde sowohl von den Clowninnen als auch von den Teilnehmenden am häufigsten eingesetzt (38%), gefolgt von nonverbalen Humorformen wie Slapstick (26%), Als-ob-Spielen (14%) und lustigen Accessoires (14%). Der Humorstil war überwie-gend gesellig (89%); aggressiver Humor war selten und wurde entweder ignoriert oder mit dem Versuch zu schlichten quittiert. Insgesamt wurden Humorbeiträge überwiegend positiv aufgenommen und mit Lachen, Lächeln oder Signalisieren von Gefallen beantwortet. Zusätzlich wurden Themen angesprochen, die offenbar für die Teilnehmenden bedeutsam waren und bezüglich derer sie sich kompetent zeigten. Die szenische Auswertung gab Aufschluss über förderliche, aber auch hinderliche Bedingungen sowie mögliche Nebenwirkungen und Gegenanzeigen der humorvollen Interaktion. Gruppensettings zeigten sich nur für leicht demenziell Veränderte sinnvoll. Als Best Practice erwiesen sich klar strukturierte Beiträge und ein kombinierter Einsatz verschiedener Stilmittel. Diskussion: Die erwartete Verringerung herausfordernder Verhaltensweisen und Steigerung der Lebensqualität konnten tendenziell erzielt werden. Dabei wurden die Ergebnisse der referenzierten Studien leicht übertroffen. Eine Aufschlüsselung nach Verhaltensweisen sowie die Ergebnisse aus der Verhaltensbeobachtung lassen jedoch große individuelle Unterschiede vermuten. Das Ausmaß der beobachteten urheberschaftlichen Beteiligung belegt nicht nur die erwartete Humorproduktionsfähigkeit, sondern zeigt auch eine ausgesprochene Bereitschaft, sich aktiv einzubringen. Für die Umsetzung können nonverbale Stilmittel uneingeschränkt empfohlen werden und sollten andere Stilmittel idealerweise begleiten und ergänzen. Insgesamt bescheinigt die Studie den Teilnehmenden bis in fortgeschrittene Krankheitsstadien gute aktive und passive Humorfähigkeiten. Da der kontinuierliche Verlust von Alltagskompetenzen für die Betroffenen ein zentrales Problem darstellt, könnte das vermutete resultierende Kompetenzerleben eine kompensatorische Wirkung entfalten und sich dadurch positiv auf das Wohlbefinden auswirken. Insbesondere aus der Verhaltensbeobachtung lassen sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für vertiefende und weiterführende Studien ableiten.